Über die Autoren:
Michael Siegmund studierte Angewandte Kindheitswissenschafen an der Hochschule Magdeburg-Stendal (Bachelor) und Bildungswissenschaft mit dem Schwerpunkt Bildungssystemdesign an der Universität Magdeburg (Master). Er arbeitet an Schulen und Kindergärten und philosophiert dort mit Kindern und Jugendlichen. Michael Siegmund lebt in Tangermünde.
Hartmut Wildermuth studierte Philosophie und Geschichte an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und ist seit 1979 an vielen Schulen als Lehrer für Ethik, Philosophie, Geschichte und Sozialkunde tätig. Hartmut Wildermuth lebt in Havelberg
Die Frage mag provozieren, doch sie ist berechtigt, wie wir in den folgenden Prämissen zeigen wollen. Jeder Mensch, der in die Schule ging, hat seine ganz eigenen Erfahrungen mit der Schule gemacht – positive und negative Erfahrungen, aufbauende und zerstörende, ermutigende und entmutigende.
Die 2012 gegründete Akademie für Permation kritisiert das deutsche Bildungssystem, weil es die Potenziale von Kindern und Jugendlichen oft nicht nur nicht fördert, sondern leider auch zerstört. Die folgenden Prämissen geben unsere Standpunkte bezüglich der Schulen, der Kindheit und des Bildungssystem wider.
Prämissen
Prämisse Eins: Die Schulen produzieren (auch) menschliches Leid.
Prämisse Zwei: Dieses Leid kann sich in vielfältiger Weise äußern. Angst, Aggression, Desinteresse, (selbst)verletzendes, zwanghaftes Verhalten, Depression, Schmerz, Drogen- und Medikamentenmissbrauch, Schuldgefühle, Langeweile, Orientierungslosigkeit, Ausgebrannt-Sein, Frustration, Ohnmachtsgefühle und viele weitere Zustände und Phänomene lassen sich sowohl bei Schülern als auch bei ihren Eltern und Lehrern beobachten.
Prämisse Drei: Die Ursachen dieses Leides liegen in der Beschaffenheit und den Strukturen des Systems selbst.
Prämisse Vier: Es gibt Wege, die das Leid beenden können. Das Bildungssystem mitsamt Schulen wurde von Menschen gedacht, gebaut und am Leben erhalten. Also kann es auch von Menschen NEU gedacht, gebaut und am Leben erhalten werden.
Prämisse Fünf: Dadurch, dass das Leid von den Strukturen des Systems selbst produziert wird und Menschen die Freiheit haben, die Strukturen des Systems ändern zu können, sollten Menschen alles daran setzen, ein Bildungssystem zu denken und zu bauen, das menschliches Leid gering hält. Immer werden Menschen in der einen oder anderen Form leiden, da die Vielfältigkeit ihrer Lebensumstände Leid hervorbringt. Jedoch kann der Qualcharakter der Schulen sehr wohl in positive Energie gedreht werden. Erlöschen die Ursachen (die Fehlkonstruktion des Systems), erlischt das schulische Leiden.
Prämisse Sechs: Wie ein radikal anderer Weg ohne systembedingtes Leid aussehen könnte, davon handelt dieser Artikel. Es ist ein Weg unter vielen. Wir wissen nicht, ob dieser Weg richtig ist. Wir denken, dass man die Schule vollkommen NEU ERFINDEN muss.
Prämisse Sieben: Es gibt Menschen, die vom aktuellen Bildungssystem profitieren. Es sind Menschen mit reichlich Macht und Geld. Sie haben viel Besitz, Eigentum, politische Ämter, Titel oder sonstige Privilegien. Fast alle dieser Macht-Menschen werden sehr viel daran setzen, dass die aktuellen Systeme – Wirtschaftssystem, Bildungssystem, Rechtssystem, politisches System usw. – genau so bleiben, wie sie sind.
Prämisse Acht: Diese Menschen missbrauchen den Staat für ihre Zwecke und Interessen. Der Staat dient NICHT der Mehrzahl der Bevölkerung, sondern einigen wenigen Menschen. Der Staat wird permanent von diesen wenigen Menschen für ihre Zwecke missbraucht.
Prämisse Neun: Der missbrauchte Staat hat die Gewalt über alle Schulen. Alle Schulen sind mehr oder weniger Staats-Schulen. Es gibt keine „freien“ Schulen. Indirekt missbraucht der Staat die Kinder und Jugendlichen für die Zwecke einiger weniger Menschen mit viel Macht. Der Staat kann als missbrauchter Staat kein Garant für Bildung und Ausbildung sein. Hinter dem Staat stehen immer noch größere Mächte als er selbst.
Prämisse Zehn: Schulen sind geschaffen worden, um Kinder und Jugendliche für bestimmte Zwecke zu manipulieren und zu ver-formen. Sie sollen dann meistens gut auf dem „Arbeitsmarkt funktionieren“, die Wirtschaft „ankurbeln“, indem sie brav konsumieren und ja nicht zu viele Fragen stellen. Der Regelfall der Schulen ist es, die Neugier von Kindern und Jugendlichen abzutöten, anstatt sie zu wecken und zu befeuern. Kurz: Die Kinder sollen system-passend gemacht werden. Meistens funktioniert das bestens.
Prämisse Elf: Eine Veränderung der Schulen kann es nur über zwei Wege geben: Entweder man hofft auf kluge Politiker, die kluge Entscheidungen treffen, damit ein System klug umgebaut werden kann. Man hofft auf kluge Beamte und damit auf einen klugen Staat, der die echten Bedürfnisse der Kinder im Auge hat und menschenfreundlich plant und handelt. Das ist der gemäßigte-reformatorische Weg und wird einige Zeit in Anspruch nehmen. Dabei ist höchst unsicher, ob sich kluge Menschen von Lobbyinteressen, den sie umgebenden Mächten und Systemzwängen freimachen können. Oder man geht einen radikalen Weg, der die Schule vollkommen neu erfinden würde. Wir sprechen uns hier für den zweiten Weg aus.
Prämisse Zwölf: Die Schulen können erst dann neu erfunden werden, wenn sie unabhängig vom Staat gemacht werden. Solange der Staat die Schulen kontrolliert, finanziert und überwacht, wird er sie weiter missbrauchen. Schulen werden dann immer Staats-Schulen bleiben.
Prämisse Dreizehn: Die Schulen müssen also vom Staat BE-FREIT werden. Der Staat als „Garant“ für öffentliche Bildung hat allzeit seine Rolle missbraucht und sich selbst missbrauchen lassen. Leidtragende waren immer Kinder und Jugendliche. Eine Befreiung der Schulen aus der Hand des Staates wird einer radikalen Umwälzung gleichkommen. Dafür wird das Grundgesetz Artikel 7 geändert werden müssen. Die Bildung muss dabei eine öffentliche Angelegenheit bleiben. Auch ohne Staat.
Prämisse Vierzehn: Was nach dieser Befreiung genau passieren wird, lässt sich nicht vorherbestimmen. Wahrscheinlich werden sich vielfältigste Schul-Formen neu gründen oder erst erfunden werden. Um welche Kriterien herum sich dieses radikal neue Bildungssystem formieren könnte, möchten wir hier überlegen.
Prämisse Fünfzehn: Werden die Schulen wirklich neu erfunden, wird es parallel dazu enorme gesellschaftliche Transformationsprozesse geben. Auch andere Systeme werden davon beeinflusst werden.
Prämisse Sechszehn: Bis jetzt wurde die Kindheit immer instrumentalisiert. Kindheit war nie offen. Das größte Interesse an der Instrumentalisierung der Kindheit hat der Staat. Über die Schulpflicht als Schulzwang kann der Staat alle Kinder erfassen und zwingt sie jahrelang in Einrichtungen zu verbringen, die vermutlich nicht im großen Maße den Bedürfnissen und Wünschen der Kinder entsprechen. Deswegen ist der Staat TOTAL, da er allumfassend ist. Die Kindheit muss von diesem totalen Staat be-freit werden. Die Befreiung der Kindheit vom Staat und seinen Interessen geht mit der Neuerfindung der Schulen einher. Wir plädieren vehement für ein Ende der Schulpflicht.
Prämisse Siebzehn: Kinder müssen nicht in Schulen lernen. Es gibt unendlich verschiedene Welten, Situationen, Erlebnisse, Wissensvorräte, Institutionen (Familien, Vereine, Akademien, Museen, Betriebe, …), in denen Lernen möglich ist. Die Schule heutigen Formats ist nur ein Weg unter unendlich vielen, Kinder zu „bilden“. Wir glauben nicht, dass die heutige Schule für die Entfaltungs- und Lernbedürfnisse von allen Kindern und Jugendlichen taugt. Die heutige Schule ist zu weiten Teilen auch keine Antwort auf die vielfältigen gesellschaftlichen Anforderungen.
Prämisse Achtzehn: Die Erkenntnisse aus fast allen Wissenschaftsgebieten werden notwendig sein, um ein neues Bildungssystem zu entwerfen, das menschenfreundlich/kinderfreundlich/gehirnfreundlich arbeitet. Diese verschiedenen Ansätze gilt es universell zusammenzudenken. Besonders wichtig erscheinen uns die Gehirnwissenschaften und die Philosophie. Dabei denken wir immer Philosophie als EINE Wissenschaft unter VIELEN, und als EINE, die sich der anderen Fachgebiete bedient und diese dann aufs Neue bereichert.
Prämisse Neunzehn: Um die Zusammenhänge zwischen Bildungssystem, Leidproduktion und Ausweg aus diesem Leiden aufzuzeigen, wird Aufklärungsarbeit nötig sein. Wir verschreiben uns dieser Auf-Klärung. Auf-Klärung bedeutet, den Menschen das klar vor Augen zu führen, was sie nicht wahrnehmen oder undeutlich sehen.
Prämisse Zwanzig: Die Schulen erfordern für ihren Erhalt permanent Gewalt. Ohne Gewalt würden die meisten Schulen schnell zusammenbrechen. Diese Gewalt geht vom Staat aus. Die Lehrer sind die Ausführer dieser Gewalt, die Schüler die Adressaten. Gewalt ist alles, was dem Willen von Kindern und Jugendlichen zuwiderläuft oder darauf abzielt, ihren Willen zu brechen. Rebellion gegen diese allumfassende Gewalt wird rigoros vom Bildungssystem bestraft. (Schlechte Noten, Sitzenbleiben, Mobbing, Zuweisung auf Haupt- und Sonderschulen etc.)
Prämisse Einundzwanzig: Dadurch, dass die Schulen Leid produzieren, sind sie menschenverachtend. Sie sind es auch deshalb, weil sie oft die wahren Bedürfnisse und Anliegen von Kindern und Jugendlichen ignorieren. Kinder werden in den Schulen zu kleinen Erwachsenen gemacht, die fürs „Leben“ „erzogen“ und „gebildet“ werden. Dabei ist dem Bildungssystem (das eigentlich ein reines AUSBILDUNGS-System und Noten-Vergabe-System ist) egal, was für Kinder im Hier und Jetzt wichtig ist. Zugleich ist das Bildungssystem hocheffizient. Der Regelfall ist, dass es hervorragend arbeitet und genau seinen Zweck erfüllt. Kinder und Jugendliche werden als Leibeigene des Bildungssystems betrachtet. Damit werden sie entrechtet und entmündigt, über ihren eigenen Werdegang bestimmen zu können. Das Machtverhältnis zwischen Erwachsenen und Kindern ist fast immer ungleich, hierarchisch und restriktiv. Das Bildungssystem macht die Kinder und Jugendlichen stets zu Maschinen, Objekten und messbaren und bewertbaren Einheiten. Das heißt Kognition im mittelalterlichen Sinn. In den meisten Schulen wird das System der klassischen Konditionierung verwendet. Positives/erwünschtes Verhalten wird belohnt (etwa über Noten), negatives Verhalten/unerwünschtes Verhalten wird bestraft. Über die Regeln des sozial erwünschten/unerwünschten Verhaltens entscheidet nicht der Schüler, sondern der Lehrer.
Prämisse Zweiundzwanzig: Die Lehramtsausbildung an den Universitäten bereitet angehende Lehrer nicht auf die echten Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen vor, sondern macht aus ihnen selbst systemerhaltende und –konforme Unterrichtsproduzenten, die über das Bildungssystem nicht nachzudenken haben. Über alternative Ausbildungsformen von Lehrern – etwa an den Schulen selbst – wird nur selten nachgedacht.
Prämisse Dreiundzwanzig: Das Bildungssystem hat zu selektieren und Menschen ihre späteren sozioökonomischen Rollen zuzuweisen. In keinem Land lässt sich das besser beobachten als in Deutschland. Dabei gelten die Prinzipien des Bildungssystems mehr oder weniger für alle Institutionen des Bildungssystems – gleich ob Kindertagesstätte oder Eliteuniversität.
Prämisse Vierundzwanzig: Die Bildungspolitik resultiert ausschließlich aus politisch-ideologischen Kämpfen und instrumentalisiert das Bildungssystem. Kinder, Jugendliche, Familien und Lehrer werden diesen Interessen angepasst.
Prämisse Fünfundzwanzig: Wer das Bildungssystem verbessern/verändern möchte, wird „gefährlich“ leben. Machtpositionen, Privilegien, Pensionen, persönliche Eitelkeiten usw. werden in einem Veränderungsprozess hinterfragt und geprüft werden, was vor allem bei jenen Menschen Angst auslösen wird, die ihr eigenes Handeln als das einzig richtige betrachten.
Prämisse Sechsundzwanzig: Wir lehnen bisherige Bildungs- und Erziehungsdefinitionen ab. Pädagogik gibt es nicht. Der Begriff „Pädagogik“, der übersetzt werden kann mit „den Knaben führen“ ist irreführend, veraltet und sinnlos. Auch „Er-Ziehung“, ein Begriff aus der Pflanzenzucht, ist blödsinnig.
Prämisse Siebenundzwanzig: Wir verwenden die Idee der PERMATION. Permation ist das, was immerzu in und mit Menschen geschieht. Diese Idee ist universell, überall auf der Erde, zu jeder Zeit gültig. Die Idee der Permation speist sich nicht nur aus neurobiologischen und neuropsychologischen Erkenntnissen und philosophischen Gedanken, sondern aus ALLEN Fachwissenschaften.
Mehr über die Autoren:
Die Akademie von Michael Siegmund und Hartmut Wildermuth dreht sich um die Erforschung und praktische Umsetzung der Idee der Permation. Sie leiten die 2012 gegründete Akademie. Sie erforschen die Permation der Menschen. Besonderen Fokus legen sie dabei auf KINDHEIT, SCHULE und BILDUNGSSYSTEM, aber auch auf viele andere Aspekte.
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